Engagementbericht: Junges digitales Engagement
“Digitalisierung ist die Waffe der Jugend! Dass wir damit aufgewachsen sind, ist unser Vorteil, unser Tool. Wir sind die freieste und am besten vernetzte Generation jemals. Das müssen wir nur nutzen. Ohne die Digitalisierung wäre Fridays for Future nicht möglich gewesen.”
— Silvan Wagenknecht, Initiator von Pulse of Europe (Wagenknecht 2019: Protokoll, S. 4)
Wie wirkt sich die Digitalisierung eigentlich auf das Engagement junger Menschen aus? Der dritte Engagementbericht der Bundesregierung stellt genau diese Frage. Er trägt den Titel Zukunft Zivilgesellschaft: Junges Engagement im digitalen Zeitalter und untersucht die Veränderungen des Engagements in Zusammenhang mit Prozessen der Digitalisierung. Im Fokus steht dabei das “junge Engagement” von Menschen zwischen 14 und 27 Jahren. Da der Bericht über 180 Seiten lang ist, haben wir es übernommen, ihn für dich zu lesen und die fünf wichtigsten, für die Jugendarbeit zentralen Punkte zusammengefasst. Wenn du darüber nachdenkst, welche Rolle die Digitalisierung spielt, wenn es darum geht, junge Menschen in ihrem Engagement zu unterstützen, bist du hier also genau richtig.
Junge Menschen sind engagiert – klassisch im Verein, aber auch digital
Wenn man Politiker:innen aus der sogenannten Boomer-Generation zuhört, könnte man manchmal meinen, dass junge Menschen den lieben langen Tag wenig anderes tun, als auf einen Bildschirm zu starren. Wie realitätsfremd diese Vorstellung ist, zeigt auch der dritte Engagementbericht: Junge Menschen sind engagiert – und zwar auch dann, wenn sie tatsächlich auf einen Bildschirm starren. In der DEB-Jugendbefragung 2019 wurden 1.006 Jugendliche und junge Erwachsene (14-28 Jahre) Face-to-Face zu ihrem digitalen Engagement befragt. Das zivilgesellschaftliche Engagement junger Menschen erwies sich dabei, wie auch schon in vielen vergleichbaren Studien zuvor, als hoch. Rund zwei Drittel (63,7 %) gaben an, sich in den vergangenen zwölf Monaten für einen gesellschaftlichen Zweck eingesetzt zu haben. Auf die Frage, in welchem Rahmen dieses Engagement stattfindet, antworteten ebenfalls rund zwei Drittel (64,2 %) der Engagierten, dass sie sich in festen Strukturen wie etwa einem Verein oder einer Partei engagierten. Außerdem ist mehr als jede:r Fünfte (21,9 %) in online organisierten Gruppen aktiv. Unabhängig vom strukturellen Rahmen des Engagements wurden die Jugendlichen auch dazu befragt, welche Rolle das Internet und Soziale Medien insgesamt für ihre Engagementätigkeit spielen. Anhand dieser Daten werden im Engagementbericht 43,2 % der Befragten als „digital Engagierte“ erfasst, welche ihr Engagement teilweise, überwiegend oder sogar vollständig mittels digitaler Medien ausüben. Die zentrale Bedeutung des digitalen Engagements für junge Engagierte ist daher kaum zu bestreiten.
Die Kommission betont jedoch stets, dass etablierte Engagementstrukturen- und formen dadurch keineswegs hinfällig werden. Das genuin digitale Engagement wird von jungen Engagierten vielmehr zusätzlich zum Engagement in einer festen Organisation verfolgt. Da Jugendliche die analoge und die digitale Welt nicht als getrennte Realitäten erfahren, treten digitale Kanäle und Plattformen zu solchen Organisationsstrukturen als gleichberechtigter Aktionsraum hinzu. Lediglich junge Menschen, denen vor Ort passende Angebote der gesellschaftspolitischen Mitwirkung fehlen, gaben an, digitales Engagement als Kompensation für den Mangel zu nutzen. Das digitale Engagement steht somit nicht in Konkurrenz zu den klassischen Strukturen des Engagements, sondern ist als eine Erweiterung der bisherigen Engagementformen und -themen zu begreifen. Als Ziel formuliert die herausgebende Sachverständigenkommission daher, die Verbindung von etablierten und digitalen Engagementformen und -kulturen zu fördern und wertschätzend mit den Fähigkeiten und dem Engagement junger Menschen umzugehen. Die Bundesregierung schließt sich diesem Ziel in ihrer Stellungnahme an und gibt einen Überblick über bereits laufende sowie geplante Projekte, welche an die von der Kommission empfohlenen Maßnahmen anschließen. Auch für Jugendarbeiter:innen ergeben sich somit viele neue Möglichkeiten, junge Menschen in ihrem Engagement zu unterstützen. Die Anerkennung und Wertschätzung des jungen digitalen Engagements ist dabei nur der erste Schritt.
Gegen den Digital Divide – für politische Bildung in Kombination mit Medienbildung
Im digitalen Engagement spiegeln sich jene Bildungsunterschiede, die regelmäßig in Studien zu jungem Engagement im Allgemeinen festgestellt werden. Jede:r Dritte der Jugendlichen auf gymnasialen Bildungswegen (33,8 %) zählt zu den “digital Engagierten”, bei Realschüler:innen ist es nur noch jede:r Vierte (25,1 %) und bei Hauptschüler:innen schließlich nur noch etwas mehr als jede:r Sechste (17,5 %). Dieser sogenannte Digital Divide im Engagement ist deswegen besonders beunruhigend, da Jugendliche außerhalb der Gymnasien und Universitäten dadurch seltener in einem Engagementmedium tätig sind, welches durch freie Verfügbarkeit und niedrigschwelligen Zugang eigentlich gerade ausgeglichene Engagementmöglichkeiten schaffen sollte. Der Bericht sieht hier einen klaren Zusammenhang zwischen digitalem Engagement und (selbst empfundener) gesellschaftspolitischer Medienkompetenz: Während sich die Schüler:innen unabhängig des Bildungswegs überwiegend gute Kenntnisse im allgemeinen Umgang mit den Möglichkeiten des Internets attestieren, werden bildungsspezifische Unterschiede sichtbar, wenn es um gesellschaftspolitische Medienkompetenzen geht. So schätzen Jugendliche aus formal höheren Bildungswegen z.B. ihre Fähigkeit, Fake News zu erkennen, durchweg besser ein. Da diejenigen, die über eine höhere Medienkompetenz verfügen, sich eher digital engagieren und ihre Medienkompetenz damit weiter ausbauen, bleiben diejenigen, die über eine geringere Medienkompetenz verfügen, von den entsprechenden Lern- und Bildungsprozessen eher ausgeschlossen. Laut der Kommission können sich deswegen bildungsbezogene Ungleichheiten, die bereits das „klassische“ Engagement gekennzeichnet haben, im digitalen Engagement potenzieren. Das in diesem Bereich formulierte Ziel der Kommission ist es daher, neue Bildungsunterschiede zu vermeiden und bestehende Spaltungen zu verringern. Da sich damit ein auch für Jugendarbeiter:innen relevantes Aufgabengebiet erschließt, betreffen die diesbezüglich im Bericht empfohlenen Maßnahmen explizit die Digitalisierung der Jugendarbeit. Die Kommission und die Bundesregierung sind sich einig darin, dass politische Bildung in Kombination mit Medienbildung sowohl in der Breite der Bildungsinstitutionen als auch in der außerschulischen Jugendarbeit stärkeres Gewicht einnehmen muss, um effektiv gegen den Digital Divide vorgehen zu können. Die Kommission empfiehlt daher eine Reihe von Maßnahmen, durch welche digitale Aspekte der pädagogischen Arbeit gestärkt und schulische sowie außerschulische Pädagog:innen diesbezüglich unterstützt werden sollen. Das wäre dann übrigens auch die Stelle, an der wir wieder ins Spiel kommen.
Die neuen Formen des Engagements im digitalen Zeitalter – Potenziale nutzen
Die Digitalisierung bringt viele neue Formen der Beteiligung hervor. Insbesondere zeitlich befristete, unverbindliche und flexible Engagementaktivitäten, etwa die Teilnahme an Online-Petitionen oder das Teilen eines Spendenaufrufs in den sozialen Medien, sind hier zu nennen. Diese Art und Weise der digitalen Beteiligung wird oft als Slacktivism (zusammengesetzt aus activism und slacker/dt: Faulenzer oder Nichtstuer) oder Clicktivism abgewertet. Damit ist die Befürchtung verbunden, dass langfristige und verbindliche Formen des Engagements durch oberflächliche digitale Aktivitäten abgelöst werden, welche bequem Zuhause vom Sofa aus ausgeübt werden können, tatsächlich aber kaum einen Einfluss in der Welt haben. Die Sachverständigenkommission spricht sich klar gegen eine solche Abwertung der neuen Formen digitaler Beteiligung aus. Sie argumentiert, dass derart einfache und vorübergehenden Formen der digitalen Beteiligung wichtig sind, weil sie eine Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs auf niedrigschwelligen Niveau ermöglichen. Das Teilen, Weiterleiten oder Kommentieren von Posts, Videos oder Bildern erlaube auch Jugendlichen, die sich eventuell selbst weniger zutrauen, die Möglichkeiten des digitalen Engagements zu nutzen und aktiv politisch Stellung zu beziehen. Die Abwertung solch niedrigschwelliger Formen digitaler Beteiligung als Slacktivism bezeichnet die Kommission daher als eine bildungsbürgerliche Perspektive, welche jene Formen als milieuspezifischen Ausdruck von Kritik und in ihrem Anschlusspotenzial verkennt.
Außerdem könne das Schlagwort des Slacktivism die Vielzahl der neuen, miteinander verschränkten Formen der digitalen Beteiligung kaum abbilden. Der Bericht stellt daher eine Auswahl der sich neu herausbildenden Formen des digitalen Engagements vor. Mit digitalem Engagement sind hier nicht ausschließlich rein digitale Handlungen gemeint, sondern hauptsächlich Engagementformen, die ohne Internet und Digitalisierung nicht möglich gewesen wären. Soziale Medien dienen laut Bericht etwa einer Vielzahl von digitalen Engagementpraktiken als teils unverzichtbare Infrastruktur. Auch wird immer wieder betont, dass digitale Instrumente nicht nur die Formen, sondern auch die Inhalte des Engagements erweitern. Dies gilt insbesondere für neue Formen der kollektiven Problembearbeitung in der Gruppe, welche im Bericht unter dem Stichwort des Crowdsourcing zusammengefasst werden. Citizen Science ermöglicht Büger:innen etwa die Teilhabe in Bereichen der wissenschaftlichen Forschung, die vormals Berufswissenschaftler:innen vorbehalten waren. Citizen Sourcing hingegen bezeichnet eine Form des Crowdsourcing, bei welcher politische Institutionen Bürger:innen mobilisieren, bestimmte Probleme des Gemeinwesens gemeinsam zu adressieren. Die Potenziale, die solche neuen Formen der digitalen Beteiligung bieten, können auch in der Jugendarbeit sinnvoll genutzt werden, um Einstiege zu ermöglichen.
Digitalisierung als Gegenstand von Engagement – Junge Menschen sind digitale Pionier:innen
Digitales Engagement beschränkt sich nicht auf die Nutzung digitaler Infrastrukturen, sondern betrifft auch die Gestaltung des Digitalen und die Arbeit an an der digitalen Technik. Junge Menschen sind dabei oft Pionier:innen. Das Engagement spezifisch für Themen der digitalen Welt rückt immer mehr in den Fokus der jungen Engagierten. Mehr als jede:r vierte Befragte gibt an, die digitale Welt durch das Engagement zu einem besseren Ort für alle machen zu wollen (28,9 %, „eher wichtig“ oder „sehr wichtig“). Dabei spielen Themen wie Datenschutz, die Bekämpfung von Hate Speech, das Mitgestalten der digitalen Welt, aber auch der sich durch die Digitalisierung verändernden Zivilgesellschaft, eine große Rolle. Im Engagementbericht werden in diesem Kontext verschieden digitale Praktiken aus dem Bereich des Civic Tech vorgestellt, d.h. Technologien, welche das Engagement und die Beteiligung von Bürger:innen fördern. Besonders der Datenjournalismus und das Veranstaltungsformat des Civic Hackathons spielen in diesem Kontext eine wichtige Rolle. Hackathons (zusammengesetzt aus Hack und Marathon) sind typischerweise Events, in denen sich Entwickler:innen und Designer:innnen innerhalb eines vordefinierten Zeitraums zusammenfinden, um ein bestimmtes Problem anzugehen, indem sie Prototypen neuer Technologien entwickeln und diese präsentieren. Hacken meint dabei eine Form des Technikgebrauchs, welche dessen etablierten Formen hinterfragt und auf diese Weise nach kreativen und innovativen technologischen Lösungen sucht. Auch hier sind junge Menschen häufig ganz vorne mit dabei: jugend hackt organisiert regelmäßig Hackathons speziell für Jugendliche von 12-18 Jahren. Ein anderes Beispiel ist die Tincon – ein Veranstaltungsformat für und mit jungen Menschen zwischen 13-25 Jahren, bei dem sich alles um digitale Jugendkultur dreht. Wenn es um Digitalisierung geht, darf daher nicht vergessen werden, dass sich viele Jugendliche bereits selbst in diesem Bereich engagieren – und als digital natives oft die besten Ideen haben.
Die Selbstwahrnehmung des jungen digitalen Engagements fördern
Die Selbstwahrnehmung junger Menschen im Bereich des digitalen Engagements variiert stark. Während das Selbstverständnis des eigenen Engagements als digitales Engagement für viele Jugendliche eine hohe Bedeutung trägt, fehlt anderen das Bewusstsein um die eigenen digitalen Engagementaktivitäten. Viele junge Befragte, die digitale Aktivitäten wie die Beteiligung an politischen Diskussionen oder das Weiterleiten politisch-gesellschaftlicher Beiträge ausüben, beschreiben sich selbst als „nicht engagiert“. Laut der Kommission nehmen viele junge Menschen ihre digitale Teilhabe demnach selbst nicht als Engagement wahr und unterschätzen somit womöglich auch ihr Einflusspotenzial auf gesellschaftliche Entwicklungen. Hier wird erneut ein Zusammenhang zwischen digitalem Engagement und (gesellschaftspolitischer) digitaler Kompetenz deutlich: So schätzen die „digital Engagierten“ ihre eigene politische Kompetenz und ihren Einfluss auf politische Prozesse deutlich stärker und als einzige Gruppe überdurchschnittlich ein. Die „kaum digital Engagierten“ liegen bei einem Mittelwert und die „nicht Engagierten“ klar darunter. Trotzdem üben viele der Befragten ohne großes Zutrauen in die eigene politische Kompetenz oft niedrigschwellige politische Aktivitäten aus (z. B. Nachrichten weiterleiten, Postings kommentieren oder die Meinung in Foren oder Gruppen äußern). Es wird auch hier deutlich, wie wichtig die Anerkennung und Wertschätzung des jungen digitalen Engagements ist, um die Mitwirkung Jugendlicher an gesellschaftspolitischen Prozessen zu fördern.
Das gilt auch für jene junge Engagierte, für die das eigene digitale Engagement ein bewusst vollzogener Akt der Identitätsfindung ist: Digitale Wertegemeinschaften die nicht durch Tradition und Herkunft zustande kommen, sondern durch geteilte Werte, Interessen und Erfahrungen, besitzen hohe Relevanz für junge Menschen. Insbesondere Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, bietet der digitale Raum viele Chancen, sich als Gemeinschaft in einem „safe space“ zusammenzufinden und so neue individuelle wie kollektive Handlungsmöglichkeiten zu erobern. Das Selbstverständnis als digitale Generation und das Verständnis des eigenen Engagements als digitales Engagement spielt nicht nur deswegen eine große Rolle für junge Engagierte: Es fungiert als identitätsstiftendes Differenzierungsmerkmal, welches im Diskurs um den Generationenkonflikt, der das junge Engagement häufig begleitet, von großer Bedeutung ist. Das junge Engagement steht vielerorts vor dem Problem trotz des Ausmaßes der derzeitigen Jugendbewegungen auf einer höheren politischen Ebene nicht ernst genommen zu werden. Das Selbstverständnis der jungen Generation als digital natives sowie die neuen digitalen Formen des Engagements nehmen innerhalb dieser Problematik eine Schlüsselrolle ein. Denn der mit dem Generationenkonflikt assoziierte Kampf wird oft auch als Kampf um die Deutungshoheit über die Digitalisierung ausgetragen. Besonders prägnant zeigt sich das z. B. in den medialen Diskursen um Fridays for Future oder am Umgang politischer Akteur:innen mit dem Youtuber Rezo.
Den kompletten Engagementbericht findet ihr auf den Seiten des Bundestages und eine Zusammenfassung auf den Seiten des Ministeriums. Weiterführend ist auch das Gutachten zu internationalen Engagementformen in digitalen Kontexten, welches unsere Partnerorganisation Youth Policy Labs erarbeitet hat.